Der arme Schauspieler...will sich in aller Ruhe umziehen und dauernd kommt jemand rein Dafür find ich den Maestro witzig...obwohl ich normal die Leute nicht leiden kann, die sich für cool halten, wenn sie ausländische Worte einstreuen. Passt in der Rolle aber
19 Enthüllungen Es war unglaublich, wie schnell dieser erste Tag doch vorbei gegangen war, dachte Saskia auf dem Heimweg. Als sie die Tür zur Wohnung aufsperrte, stieg ihr schon der Duft von warmem Abendessen in die Nase, das Margarete offensichtlich für sie vorbereitet hatte. Sie folgte dem Geruch und landete, wie schon vermutet in der Küche vor einem Tisch, der sich fast bog vor Essen. „Margarete, das sollst du doch nicht. Ich hab dir doch gesagt, dass du weder mit dem Essen auf mich warten sollst, noch für mich kochen sollst. Ich kann das schon allein, ich wohne schon länger allein und hab das alles im Griff.“ Margarete schmunzelte. „Ja, aber nach einem langen Probentag hat man immer Hunger. Der Grandiose hatte immer Hunger, wenn er von der Probe heimkam.“ Der Gesichtsausdruck, der über Margaretes Gesicht huschte, als sie Professor Grandinis Spitznamen aussprach, verstärkte Saskias Eindruck noch, dass zwischen den beiden einmal mehr gewesen sein musste Freundschaft. Ob Saskia einfach mal nachfragen sollte, was da gewesen war? Sie biss sich auf die Unterlippe vor Konzentration, eine Geste, über die Patrick immer gelacht hatte, weil sie dabei so kleinmädchenhaft wirkte. Auch Margarete bemerkte sie und hakte nach in ihrer bekannt unverblümten Art. „Was ist denn los? Du siehst aus, als müsstest du innerhalb von Minuten die Welt retten. Raus mit der Sprache!“ „Aber nur, wenn du mir nicht böse bist. Ich will nicht aufdringlich wirken. Aber ich fürchte, das tue ich schon.“ Saskia lächelte verlegen. „Nein, ist kein Problem, ich sag dir schon, wenn es mir zu persönlich wird. Aber müssen wir unbedingt im Stehen reden? Es redet sich doch viel gemütlicher, wenn man zusammen bei einem Glas gutem Wein am Abendtisch sitzt.“ Sie drückte Saskia auf den Stuhle gegenüber. „Und jetzt schieß endlich los, bevor ich platze vor Neugier!“ Saskia lief rot an und druckste erst einmal herum. „Äh, nun ja, ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll, schließlich bin ich ja erst hier eingezogen. Und eigentlich geht’s mich ja gar nichts an. Aber es interessiert mich nur so fürchterlich, weil…“ „Wenn du nicht gleich sagst, was du auf dem Herzen hast, dann schick ich dich ohne Abendessen ins Bett, das ist ja furchtbar. Dieses Herumgelabere,“ unterbrach sie Margarete. „Okay, wenn du so drängst, dann kann ich es vielleicht wirklich laut fragen.“ Saskia räusperte sich. „Was lief denn zwischen dir und dem Grandiosen?“ Jetzt war es raus. Saskias Gesichtsfarbe war mittlerweile zu einem Rot geworden, das nur auf Farbpaletten auftrat und in natura irgendwie ungesund wirkte. Demgegenüber war Margarete auf einmal blass geworden. Sie begann, sich Nudeln auf den Teller zu laden und antwortete nicht. Saskia erschrak. „Siehst du, jetzt bin ich dir doch zu nahe getreten.“ „Nein, bist du nicht. Ich habe nur mit allen Fragen der Welt gerechnet, außer mit dieser. Aber es ist ja nur verständlich, dass du danach fragst. Immerhin hat er dir dieses Zimmer verschafft und ich reagiere immer noch komisch, wenn sein Name fällt.“ „Genau aus dem Grund frage ich. Was war denn da zwischen euch?“ „Naja, das ist eine lange Geschichte. Um sie kurz zu machen, wir waren mal für längere Zeit ein Paar.“ „Für längere Zeit?“ „Um genau zu sein, standen wir kurz davor, zu heiraten. Wir waren schon eine Ewigkeit zusammen und es schien uns damals einfach nur noch der letzte Schliff, sprich der Gang vor den Altar, zu fehlen.“ „Der Gang vor den Altar… Klingt wie der Gang zum Schafott. Was ist denn passiert?“ fragte Saskia erschrocken. „Na, so ähnlich war es auch, wenn man es aus heutiger Sicht betrachtet. Er hat mich damals im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen lassen. Vor der Kirche. Ist einfach nicht zu unserer Hochzeit erschienen.“ Margarete starrte Löcher in die Luft vor ihren Augen. Sie seufzte. „Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis wir wieder miteinander reden konnten wie vernünftige Menschen.“ „Das kann ich mir vorstellen. Aber weißt du denn, warum er das getan hat?“ Saskia konnte es immer noch nicht fassen. So etwas passierte doch eigentlich nur im Film. „Wie immer. Die Musik ist ihm dazwischen gekommen. Ich war mir von vornherein im Klaren darüber gewesen, dass ich in dieser Beziehung nur die zweite Geige spielen würde, nach der Musik.“ Sie lachte bitte. „Welch Wortspiel. Entschuldige bitte. Aber dass er das tun würde, damit hätte ich nicht gerechnet. Dass er so egoistisch sein würde.“ Saskia wurde blass. Ihr war gerade der Gedanke gekommen, dass sie praktisch nichts anderes tat als Grandini damals. Sie ließ Patrick die zweite Geige in ihrem Leben spielen. Die Musik war einfach ihr Leben. Er hatte das scheinbar akzeptiert. Aber in diesem Moment nun überkam Saskia ein Gefühl des Schuldbewusstseins. Verlangte sie da nicht ein bisschen viel von ihm? „Sag mal, ich erzähl dir hier meine Lebensgeschichte, und du hörst überhaupt nicht mehr zu. Wo bist du denn mit deinen Gedanken?“ Mit diesen Worten riss Margarete sie aus ihren Schuldgefühlen. „Weißt du, Margarete, ich glaube, Professor Grandini und ich, wir sind uns noch nicht einmal so unähnlich. Mir ist gerade eben aufgegangen, dass ich auf dem besten Wege dahin bin, den Menschen, den ich auf der Welt am meisten brauche hintan zu stellen und die Musik über alles zu setzen. Und mir ging gerade auf, dass das nicht so sein darf. Würdest du mich bitte entschuldigen? Ich habe ein paar dringende Emails zu schreiben.“ Saskia stand so abrupt auf, dass der Stuhl hinter ihr fast umfiel. Aber jetzt plötztlich hatte sie es eilig. Sie wollte Patrick heute unbedingt noch schreiben. Das musste einfach sein. Margarete lächelte in sich hinein. Sie hatte sich fast schon so etwas gedacht, als sie eben gesehen hatte, wie Saskias Gesichtsfarbe übergangslos von rot auf weiß wechselte. Aber vielleicht war ihr die Geschichte mit dem Grandiosen eine Lehre und sie würde versuchen ihre Beziehung nicht der Musik unterzuordnen. Margarete konnte nur das beste für die beiden jungen Menschen hoffen, dass die beiden es schaffen würden, ihre Angelegenheiten ohne Schwierigkeiten zu regeln.
Saskia ging in ihr Zimmer und schaltete den Computer an. Sie war furchtbar aufgeregt, so als würde sie zu ihrem ersten Date gehen. Und im Prinzip war es das ja auch. Ihr erstes Date nach der Trennung. Wenn es auch nur ein virtuelles Date war, aber immerhin konnten sie sich unterhalten. Sie hatte eine neue Nachricht in ihrem Posteingang. Von Patrick:
Liebe Saskia,
leider hast du dich gestern nicht mehr gemeldet. Ich habe lange darauf gewartet. Habe vor dem Computer gesessen und überlegt, was du jetzt wohl gerade tust. Aber es kam keine Nachricht von dir. Ich mache mir Sorgen um dich. Wie geht es dir? Wie ist die Arbeit mit dem neuen Orchester? Sind deine Kollegen nett? Wie ist deine Wohnung? So viele Fragen sind da, die ich dir zu gerne persönlich stellen würde, aber leider bist du nicht hier. An dieser Situation können wir beide wohl nichts ändern und ich versuche das zu akzeptieren, wenn es mir auch unendlich schwer fällt. Ich hoffe, du fühlst dich wohl. Egal, was du tust. Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass du dich bald meldest. Ich vermisse dich.
Dein Patrick
Darauf hatte Saskia heute gerade noch gewartet. Als wäre ihr schlechtes Gewissen nicht auch so schon schlimm genug. Sie klickte auf den Antwort-Button und tippte wild drauflos. Ohne Zusammenhang. Ohne zu überlegen. Sie wollte Patrick einfach nur all das mitteilen, was sie erlebt hatte. Ohne Einschränkungen. Damit er wenigstens auf diese Weise Anteil an ihrem neuen Leben haben konnte.
Patrick schaltete seinen Laptop an. Eigentlich rechnete er schon seit Tagen nicht mehr damit, dass Saskia sich melden würde, weshalb er seit mindestens einer Woche keine Nachrichten mehr abgerufen hatte. Sicherlich hatte sie ihn schon längst vergessen. Einen anderen gefunden. Jemanden, der hören konnte. Der wahrscheinlich sogar selbst Musiker war. Und keinen solchen Klotz am Bein, wie er nun einmal einer war. Aber nein. Es blinkte. Sie hatte geschrieben. Patrick öffnete ihre Nachricht mit starrer Miene. Entschuldigungen. Ausflüchte. Mittlerweile war er so negativ eingestellt, dass er nicht mehr daran glaubte, dass sie überhaupt noch an ihn dachte. Für sie war er sicher nur eine Affäre, was für zwischendurch, gewesen. Patrick seufzte tonlos. Was sollte er nur machen? Er schloss die Nachricht. Sie sollte auch einmal wissen, wie es war, keine Antwort auf eine Nachricht zu erhalten. Zumindest nicht gleich, relativierte er sofort. Er stand auf, um sich in der Küche ein Glas Wasser zu holen. Beim Blick auf den Kalender, der neben seinem Kühlschrank hing, fiel ihm auf, dass er am nächsten Tag auch mal wieder Therapie hatte. Diese nervigen Sitzungen, die ihm sein Hausarzt manchmal empfohl, der immer noch der Meinung war, dass Patrick eigentlich viel besser sprechen könnte, als es im Moment aussah. Meistens ließ sich Patrick eben überreden, mitzumachen. Die Therapeuten mussten ja auch irgendwie überleben. Diesmal hatte ihm der Arzt eine neue Praxis empfohlen, ganz in seiner Nähe. Die Therapeuten dort schienen besondere Erfolge mit den Sprechversuchen von Gehörlosen zu haben. Patrick hatte sich überzeugen lassen, weil er damals noch gedacht hatte, wie schön es irgendwann sein würde, mit Saskia auszugehen, weil ihn nicht mehr jeder dumm ansah, sobald er den Mund aufmachte. Aber daraus würde wohl nichts werden. Mit dem Glas kaltem Wasser in der Hand wanderte Patrick durch seine Wohnung, die ihm irgendwie verändert vorkam, seit Saskia nicht mehr da war. Obwohl sie nie bei ihm eingezogen war. Es war einfach seltsam. Er kehrte zu seinem Laptop zurück, der auf dem Wohnzimmertisch stand und rief ihre E-Mail noch einmal auf um sie ein weiteres Mal zu lesen. Nichts hatte sich an der Worten verändert und doch schien es ihm, als sei der Ton der Nachricht ein anderer als vorhin, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Die Nachricht kam ihm mit einem Mal viel verzweifelter vor als vorher und er fing an, sich über sich selbst zu ärgern, weil er so lange mit der Antwort gezögert hatte. Er öffnete eine leere Nachricht und schrieb:
Liebe Saskia, vielen Dank für deine Nachricht. Tut mir Leid, dass ich nicht sofort geantwortet habe. Ich bin in letzter Zeit viel für die Uni unterwegs.
Er machte eine Pause. Das war eine glatte Lüge. Wollte er wirklich anfangen, Saskia zu belügen? Er schüttelte den Kopf über sich selber, löschte die Nachricht und fing von neuem an. Liebe Saskia, vielen Dank für deine Nachricht. Ich habe einige Zeit meine E-Mails nicht gelesen, deshalb hat es mit der Antwort etwas länger gedauert. Eigentlich wollte ich dir gar nicht erzählen, wie es mir geht. Denn mein Leben ist nicht mehr das gleiche, seit du weg bist. Mir ist ständig langweilig und mir fehlt jeglicher Antrieb. Ich gehe nur noch zur Uni, wenn ich Veranstaltungen mit Anwesenheitspflicht habe. Und ich wünschte, du wärst hier. Es ist eine Schande, dass es immer so lange dauert, bis wir uns schreiben.
Auch hier legte Patrick eine Schreibpause ein, stützte das Kinn in die Hand und dachte nach. Eigentlich bedeutete der letzte Satz nichts anderes, als dass er es schäbig von Saskia fand, dass sie ihm so selten schrieb. Aber wenn er das genau mit diesen Worten sagte, würde sie eh kein Wort mehr mit ihm reden. Und das wäre dann ja wohl der Supergau. Ich kann nachvollziehen, dass du viel unterwegs bist und dass es manchmal schwierig ist, trotz all der neuen Eindrück daran zu denken, dass du auch noch ein altes Leben hast. Das soll kein Vorwurf sein, auch wenn es so klingen mag. Es ist nur, dass es hier so leer ist ohne dich. Eigentlich habe ich keine Ahnung, ob ich diese E-Mail wirklich abschicken soll, denn, mal ganz im Ernst, wenn ich an deiner Stelle wäre, mir ginge mein Gebettel um Beachtung und Zuneigung gehörig auf den Keks. Aber auf der anderen Seite will ich einfach, dass du an mich denkst, dass du mir schreibst. Und vor allem, dass du mich nicht vergisst. Auch wenn das schon lange der Fall sein mag. Ich halte immer noch an dir fest und ich freue mich auf den Tag, auch wenn es in deinen Ohren vielleicht gemein klingen mag, an dem du wieder zurückkommst, weil dein Engagement endet.
Bitte melde dich bald wieder. Dein Patrick
Ohne die Nachricht ein zweites Mal zu lesen, schickte Patrick sie los. Um nicht Gefahr zu laufen, den ganzen Abend darauf zu warten, dass sie zurückschreibt, schnappte er sich sein Lieblingsbuch und legte sich ins Bett. Vorsichtshalber stellte er sich schon einmal den Wecker, um den Termin in der logopädischen Praxis nicht zu verschlafen. Denn das wäre definitiv das letzte, was ihm im Moment noch an Peinlichkeiten und Schwierigkeiten fehlen würde.
Ein Sonnenstrahl kitzelte Patrick schließlich aus dem Schlaf. Schlaftrunken reibt er sich die Augen, während er die Beine aus dem Bett schwingt. Mit dem Fuß bleibt er dabei an Ken Follett’s Das zweite Gedächtnis hängen, das am Vorabend wohl aus dem Bett geglitten sein musste, als er eingeschlafen war. Patrick blinzelte und schaute auf die Uhr. Verdammt, schoss es ihm durch den Kopf, er hatte verschlafen. Und dabei sollte er doch schon um halb neun beim Logopäden sein. Er stellte fest, dass er schon jetzt eine halbe Stunde zu spät war, hechtete deshalb zu seinem Laptop und schrieb eine Nachricht an die Praxis, dass er wohl erst gegen zehn Uhr da sein würde. Die Arzthelferin schrieb auch prompt zurück. Es sei kein Problem, sie würden ihn dann eben später einfach zwischenschieben. So hätte er zwar schneller fertig werden können, aber leider hatte das eben nicht geklappt. Patrick suchte seine Kleider zusammen, die er am Vorabend einfach hatte fallen lassen, wo er stand. Eigentlich hatte er ja noch waschen gehen wollen, bevor er zur Praxis ging, aber auch das konnte er wohl heute getrost vergessen. Genervt über sich und seine Unfähigkeit verließ Patrick schließlich mit einiger Verspätung das Haus. Er erreichte die Praxis nach einiger Zeit, die er benötigte um die etwas versteckt gelegene Eingangstür zu finden. Er öffnete die Tür und stand in einem sehr hellen, freundlichen Zimmer, das so gar nicht wie eine Praxis aussah. Hinter dem Tresen schauten ihn zwei Augen freundlich an. Moment, er kannte diese Augen. Er hatte sie zumindest schon einmal gesehen. Das konnte doch nicht… Oh Mist. Hannah. So hatte sie geheißen, die junge Frau, die ihn im Bus angesprochen hatte, und die er hatte so unfreundlich abblitzen lassen. Seine Gesichtsfarbe wechselte schlagartig auf knallrot. Doch nicht nur Patrick hatte sein Gegenüber auf den ersten Blick. Hannah selbst war es wie Schuppen von den Augen gefallen. Da arbeitete sie schon seit Jahren ehrenamtlich für diesen Logopäden und konnte immer noch keinen Taubstummen erkennen, selbst wenn er vor ihr stand. Unglaublich. Sie wartete, dass sich vor ihr der Erdboden auftat und sie darin versinken könnte. Aber nein, es passierte natürlich nicht. Sie schluckte und räusperte sich. Naja, Professionalität war schließlich alles; sie riss sich am Riemen und lächelte freundlich. „Hallo. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Patrick packte seinen Block aus. Hallo. Ich habe einen Termin. Patrick Jakobson. „Guten Morgen. Ja, wie ich sehe, haben Sie vorhin Bescheid gegeben, dass es etwas später wird. Tut mir Leid, aber im Moment ist es etwas voll, vielleicht wollen Sie in einer halben Stunde wieder kommen. Ich fürchte nämlich, dass das etwas länger dauert.“ Patrick nickte. Sie schien ihn noch nicht wieder erkannt zu haben, dachte er. Langsam normalisierte sich auch seine Gesichtsfarbe wieder. Erleichtert lächelte er Hannah noch einmal zu und drehte sich um. Er war kaum zur Tür hinaus, als Hannah nach hinten brüllte: „Claudi, ich nehm mal kurz fünf Minuten Pause.“ Und schon war sie verschwunden, ohne auch nur ihren Kittel auszuziehen. „Mann, hast du ein Tempo drauf,“ japste Hannah, als sie Patrick endlich eingeholt hatte, nachdem dieser die Praxis verlassen hatte. „Da kommt ja nicht mal ein Sprinter hinterher.“ Sie blieb stehen und schnaufte. Patrick musste lächeln, obwohl er es eigentlich vermeiden wollte. Schließlich hatte er sich ja bei ihrem letzten Treffen nicht gerade wie ein Gentleman verhalten. Hannah lächelte zurück und hielt ihm die Hand hin. „Ich glaub, ich muss mich entschuldigen, dass ich bei unserem letzten Treffen so genervt war. Wenn du gleich was gesagt hättest, wär ich sicher nicht so fies zu dir gewesen.“ Patrick hob beschwichtigend die Hand und kramte hastig nach seinem Notizblock. Als er ihn endlich gefunden hatte, fing er sofort an, etwas aufzuschreiben. Hey, ich muss mich entschuldigen. War ja nicht gerade die feine englische Art, dich so auflaufen zu lassen. Wenn ich gleich gesagt hätte, was mit mir los ist, dann hätte es dieses Missverständnis gar nicht gegegeben. Aber ich geh halt ungern mit meiner Taubheit hausieren. Hoffe, du verstehst das. „Klar, versteh ich. Wenn ich taubstumm wäre, würde ich das auch nicht jedem Wildfremden auf die Nase binden. Ich fürchte, ich war da auch etwas unsensibel.“ Patrick schüttelte den Kopf. „Doch, doch, du brauchst mich da gar nicht zu unterbrechen. Ich bin manchmal ein echter Trampel. Entschuldige bitte. Was hältst du davon, wenn wir noch einmal von vorne anfangen?“ Patrick nickte. „Okay. Also mein Name ist Hannah Abele.“ Patrick Jakobson. Angenehm. Darf ich mal neugierig sein? „Ja, klar, mach ruhig.“ Warum arbeitest du beim Logopäden, wenn du studierst? „Naja. Ich arbeite da ehrenamtlich. Mein Bruder ist taubstumm zur Welt gekommen und seitdem interessier ich mich halt dafür. Und als hier der Logopäde Aushilfen gesucht hat, weil er sich kaum noch retten kann vor Kundschaft, hab ich mich halt gemeldet.“ Hannah zuckte mit den Schultern. „Also, nix Besonderes.“ Patrick machte vor Erstaunen große Augen. Er hielt es für außergewöhnlich, dass jemand so etwas freiwillig machte. Und es brannte ihm eine einzige Frage auf der Zunge… Er biss sich auf die Lippe. Dann zuckte er kurz mit den Schultern, wie um zu sagen „Ist eh schon egal...“ und kritzelte weiter. Sorry, wenn ich das jetzt so frage. Aber kannst du Gebärdensprache? Hannah nickte. „Ja, seit mein Bruder da ist – er ist jetzt 15 – hat mich das immer mehr interessiert und dann hab ich mich schließlich entschlossen, es zu lernen. Ist einfacher, als wenn er immer nach seinem Block kramen muss und es entstehen keine langen Gesprächspausen mehr, seitdem ich das kann. Wir sind jetzt praktisch richtige Geschwister.“ Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht steckte Patrick den Block wieder zurück in seine Tasche, verstaute den Stift und fing an Hannah zu signalisieren, wie gut das doch tat, mal wieder jemanden zu treffen, der ihn auch ohne schriftliches Medium verstand. Hannah schien ihn direkt zu verstehen. „Ich weiß, was du meinst. Was meinst du, wieviele Patienten hier in der Praxis glücklich sind, dass ich sowas kann. Meine Güte, à propos Praxis. Meine fünf Minuten, die ich mir als Pause genommen hab, sind schon längst vorbei. Claudi wartet sicher schon auf mich. Tut mir Leid, aber ich muss jetzt ganz schnell weg. Wir sehen uns ja noch. Bis nachher.“ Hannah verschwand, während sie noch „Wie ärgerlich“ vor sich hin murmelte und ließ einen völlig verdutzten Patrick zurück, der sich schon wenig später umdrehte, um zurück zur Praxis zu gehen. Denn anstatt sich allein noch eine Viertelstunde in der Stadt herum zu treiben, wollte er sich doch liebe noch ein wenig mit Hannah unterhalten.
„Du bist ja schon wieder hier,“ kommentierte Hannah trocken, als Patrick schon wieder in der Praxis erschien. Der zuckte nur mit den Schultern und signalisierte, dass er halt nichts Besseres zu tun habe und hier wenigstens auf ein Schwätzchen hoffen konnte. Dabei lächelte er spitzbübisch und Hannah konnte ihm den Wunsch nach einem Plausch nicht übelnehmen. „Dann bleib hier einfach am Tresen stehen. Ich kann nicht versprechen, dass ich viel Zeit haben werde, weil hier in letzter Zeit so viel los ist, aber ich werde sehen, was ich tun kann. Und schließlich musst du ja auch noch rein. Vom In-einer-Logopädiepraxis-am-Tresen-Stehen lernst du leider nicht sprechen. Soviel ist sicher.“ Patrick lächelte. Das war ihm klar.
Als Patrick schließlich nach der Behandlung die Praxis verließ, war er zum ersten Mal seit Saskias Weggang wieder richtig zufrieden. Nicht nur hatte der Logopäde ihm die besten Hoffnungen gemacht, dass er bald so sprechen könnte, dass sich seine Sprechweise nicht mehr viel von der von gesunden Menschen unterscheiden würde, wenn er nur genug üben würde, nein, er hatte sich auch Hannahs Nummer geben lassen, denn sie war ihm auf Anhieb sympathisch gewesen. Obwohl er sich etwas schäbig vorkam Saskia gegenüber, weil er jemanden gefunden hatte, den er mochte, hatte er es doch langsam satt, jeden Abend allein vor dem Fernseher zu sitzen mit dem Laptop neben sich und auf ihre Nachricht – die meist nicht kam – zu warten. Das musste ein Ende haben und vielleicht war Hannah ja der Weg dahin. Wenn sie auch nur eine Freundin sein würde.
22 Verpasst Saskia schnaubte vor Wut, vielleicht aber war es auch mehr Enttäuschung. Enttäuschung darüber, dass Patrick scheinbar nicht mehr genug Zeit hatte, ihr zu schreiben. Schon seit drei Tagen hatte sie keine neue Nachricht von ihm erhalten. Ungewöhnlich für jemanden, der sonst täglich hatte auf irgendeine Weise von sich hören lassen. Aber was konnte sie aus der Entfernung schon großartig tun. Sie würde weiterhin hier sitzen und warten, dass er sich meldete. Ihr Handy klingelte. Eine SMS. Wahrscheinlich eh nur wieder irgendeine Vertragsneuerung, die sie nicht brauchen konnte, dachte Saskia. Sollte sie überhaupt aufstehen? Naja, konnte ja nicht schaden, vielleicht war es ja endlich mal ein Angebot, über dass man nachdenken konnte. Sie klappte ihr Handy auf, um die Nachricht zu lesen. Adrian hatte geschrieben. Ein paar Mitglieder des Orchester wollten den probefreien Abend heute nutzen, um Dresden zu erkunden. Schließlich gab es einige Neuankömmlinge, die noch keine Zeit gehabt hatten, um sich neu umzusehen. Saskia dachte nach. Das Angebot klang schon verlockend. Warum sollte sie auch hier zu Hause sitzen und warten. Sie sagte zu.
Patrick kam nach einem sehr angenehmen Nachmittag, den er zum Teil mit Hannah verbracht hatte, nach Hause und war zum ersten Mal seit Wochen gut gelaunt, als er den Laptop anschaltete. Doch seine Laune sollte sich schlagartig ändern, als Saskia – wieder einmal – nicht online war. Und dabei hatte der Tag doch so schön angefangen. Als er am Morgen aufgewacht war, hatte er schon eine Nachricht auf dem Handydisplay entdeckt. Hannah hatte ihn gefragt, ob er nach Mittag nicht Lust hätte, mit ihr auf einen Kaffee zu gehen. Er hatte einfach so zugesagt, um auf andere Gedanken zu kommen. Hannah und Patrick waren zunächst ein bisschen durch die Altstadt gebummelt, hatten dann aber schnell festgestellt, dass es einfach schwierig war, gleichzeitig zu reden und zu gehen. Denn Hannah interessierte sich sehr für Patricks Geschichte, wie sie ihm schuldbewusst gestand. Manchmal war sie einfach zu neugierig. Also hatten sie sich ein kleines Café in Flussnähe gesucht und sich dort in die Sonne gesetzt, ungeachtet der verstohlenen Blicke der Gäste an den umliegenden Tischen, die sich für das „Gespräch“ der beiden Studenten interessierten. Patrick hatte ihr praktisch sein ganzes Leben erzählt. Von Anfang an. Dass er schon immer taub war, aber eigentlich sprechen lernen wollte; dass er endlich studieren konnte, was er wollte und dass er eigentlich jemanden gefunden hatte, von dem er gehofft hatte, den Partner fürs Leben gefunden zu haben. Als Patrick Saskia zum ersten Mal erwähnte, schwor sich Hannah nicht weiter in sein Gefühlsleben einzudringen. Denn er sah mehr als niedergeschlagen aus, als er darüber sprach. Obwohl sich Hannah definitiv für Patrick interessierte, versprach sie sich selbst, ihm einfach nur eine gute Freundin sein zu wollen, die immer für ihn da war. Die beiden verbrachten einen wunderschönen Tag, an dem Patrick endlich einmal wieder alle seine Sorgen vergessen konnte. Auch Hannah hatte schon einiges erlebt, von dem sie erzählen konnte. So war sie zum Beispiel für ein Jahr in Neuseeland gewesen und hatte da in einer Jugendherberge gejobbt. Patrick beneidete sie um diese Erfahrung und wollte daher natürlich alles wissen, was sie erlebt hatte. Dementsprechend bemerkte weder Hannah noch Patrick, wie schnell die Zeit verging. Sie trennten sich abends, als Hannah Patrick nach Hause brachte, bevor sie zum Karate-Training ging. Es war ein schöner Tag gewesen.
Doch nun holte ihn die Realität wieder ein, weil Saskia wieder nicht geschrieben hatte. Enttäuscht schaltete er den Rechner wieder aus und beschloss noch etwas zu lesen, bevor er zu Bett ginge. Als er nach seinem Buch griff, fiel sein Blick auf sein Handy. Er überlegte kurz. Dann griff er danach und fing an eine SMS an Hannah aufzusetzen. Hey du. Hoffe, dein Training war gut. Hier ist es langweilig. Saskia hat sich auch nicht gemeldet. Bin grantig. LG, Patrick Es dauerte nicht lange, bis er die Antwort von Hannah schon auf dem Display lesen konnte. Selber hey. Training war gut. Jetzt sitz ich hier rum. Schade, dass du nix Neues gehört hast. Was machst du noch heut Abend? LG Patrick dachte nach, was er jetzt darauf antworten sollte. Aber eigentlich war in der Nachricht ja nichts Besonderes drin, also warum sollte er nicht antworten. Er schrieb zurück. Nix Besonderes. Wenn du noch nix Bessres vorhast und noch in der Nähe bist, könntest du ja noch auf ein Glas Wein vorbeikommen. LG Und wieder kam die Antwort prompt. Gerne. Bin in zwanzig Minuten da. Bis gleich, Hannah Zwanzig Minuten! Und hier sah es mal wieder aus wie im Schweinestall. Patrick fing an, durch die Wohnung zu sausen, um wenigstens den gröbsten Unrat verschwinden zu lassen, bevor Hannah auftauchte. Diese ließ auch nicht lange auf sich warten und stand pünktlich auf der Matte, frisch geduscht und frisiert. „Hier bin ich und, wie sich das für einen guten Gast gehört, habe ich auch meinen eigenen Wein mitgebracht,“ lachte sie und zog das Geschirrtuch von dem Korb, den sie mitgebracht hatte. Darin lagen drei gekühlte Bierflaschen. „Ich mag leider keinen Wein,“ entschuldigte sie sich. Patrick lächelte. Das war typisch Hannah. Obwohl er sie erst kurz kannte, kam es ihm vor, als hätten sie schon ihre Kindheit miteinander verbracht. Ihre Art war ihm jetzt schon ans Herz gewachsen. Sie war einfach eine richtige Freundin, ein Mensch, dem er vertrauen konnte. „Ist ja kein Problem. Komm rein.“ Patrick trat zur Seite und ließ Hannah in seine Wohnung, die immer noch nicht so vorzeigbar aussah, wie Patrick es gerne gehabt hätte, aber das konnte er ja jetzt nicht mehr ändern. Wenn er daran zurück dachte, wie schön die Wohnung ausgesehen hatte, als Saskia damals zum ersten Mal vorbeigeschaut hatte… So ging Hannah schweigend an dem Wäscheberg vorbei, der sich, mal wieder, vor der Badezimmertür auftürmte, und folgte Patrick in die Küche. Aus irgendeinem Grund vermied es Patrick mit Hannah ins Wohnzimmer zu gehen. So bot er ihr einen Platz auf der gemütlichen Eckbank an und holte ihr ein Bierglas, während er sich selbst ein Glas Wein einschenkte. „Wie lange machst du eigentlich schon Karate?“ fragte Patrick. Irgendwie musste die Stille ja gebrochen werden. „Och, schon seit ich ganz klein bin, ich glaub, ich hab mit sieben oder so angefangen. Es macht Spaß und ist ja außerdem ganz praktisch, so als Frau und heutzutage, du weißt schon.“ Patrick nickte. Es fiel ihm beim besten Willen nichts ein, was er darauf hätte sagen können. Heute Abend war er absolut nicht der gesprächigste. Auch Hannah schien das zu bemerken. „Sag mal,“ fragte sie nach einer längeren peinlichen Pause, „warum hast du mich eigentlich gefragt, ob ich heute vorbeikommen will? Ich meine, ohne dir nahe treten zu wollen, aber besonders gesprächig bist du ja heute Abend nicht.“ Patrick nickte schuldbewusst. „Das war mehr oder weniger so eine spontane Idee. Ich weiß es auch nicht, aber ich wollte nicht unbedingt allein sein. Und dann kam deine SMS und ich weiß nicht, aber ich wollte einfach nicht allein sein.“ Er drehte sich im Kreis. Hannah legte ihre Hand beruhigend auf seine. „Ist ja in Ordnung. Was ist denn los? Irgendwas passiert? Kann ich dir helfen?“ Patrick schüttelte nur den Kopf. „Was hältst du davon,“ fragte sie, „wenn wir uns einfach rübersetzen ins Wohnzimmer und fernsehen.“ Patrick zuckte mit den Schultern, stand aber auf, um doch ins Wohnzimmer zu gehen. Was konnte es schon schaden? Saskia hatte ja auch ihren Spaß mit ihren neuen Kollegen. Hannah und Patrick fanden nach langem Suchen einen Film, den sie beide mochten und sahen still neben einander sitzend fern. Verstohlen warf Hannah ab und zu einen Blick auf Patrick. Er tat ihr Leid, aber sie wusste auch nicht, wie sie ihm helfen konnte. Sie vermutete, dass seine Schweigsamkeit etwas mit seiner Freundin Saskia zu tun hatte. Aber da er ja nicht darüber reden wollte, konnte sie auch nicht auf seine Probleme eingehen. Sie seufzte. Der Film rauschte an diesem Abend einfach nur an ihr vorbei. Er war nebensächlich. So musste sie lange in Gedanken verloren neben Patrick gesessen haben. Denn als sie das nächste Mal neben sich sah, um Patrick von der Seite zu mustern, war dieser eingeschlafen. Er hatte den Kopf zurück gelegt und atmete langsam und gleichmäßig. Hannah musste lächeln. Na, soviel zum Thema, dass sie eine aufregende Erscheinung sei… Aber egal. Sie griff zu der Decke, die neben ihr lag und deckte ihn zu. Einen Moment lang dachte sie darüber nach, die Decke auch über sich selbst zu breiten und hier zu schlafen. Aber sei verwarf den Gedanken. Er war kindisch und unreif. Nein, das würde sie nicht tun. Sie stand leise auf und trug die benutzten Gläser zurück zur Küche. Unterwegs fiel ihr Blick auf den Block, der im Flur lag. Sie griff danach und setzte sich in die Küche, um Patrick eine Nachricht zu schreiben, was sich als schwieriger erwies, als sie zunächst gedacht hatte. Nach mehreren Versuchen, hatte sie sich mit sich selbst auf eine sehr unverfängliche aber doch nette Nachricht geeinigt, die sie vor Patrick auf den Wohnzimmertisch legte, bevor sie leise die Wohnung verließ.
Ich frag mich langsam, wer am Schluss tatsächlich diejenige ist, welche...am Anfang war es klar, aber inzwischen hab ich mehr und mehr das Gefühl, dass da durchaus ZWEI interessante Möglichkeiten sind, wie die Geschichte ausgehen kann...kann es jedenfalls nicht abwarten, mehr zu erfahren :-)
23 Ein rabenschwarzer Tag Als Patrick am nächsten Morgen wach wurde, spürte er jeden einzelnen Knochen. Er hatte die ganze Nacht auf dem Sofa verbracht. Wie er zu der Decke kam, war ihm ein Rätsel. Er streckte sich und schlug mit Schwung die Decke zurück. Dass dabei durch den entstandenen Windstoß die Nachricht von Hannah vom Tisch flog und unter der Couch verschwand, bemerkte Patrick in seiner Verschlafenheit nicht. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr, der ihm sagte, dass er mal wieder viel zu spät für die Uni war, und dass das so nicht weitergehen konnte, tappte er ins Bad. Er dachte kurz an Hannah und ärgerte sich darüber, dass sie so sang- und klanglos verschwunden war. Vielleicht hatte er sie doch falsch eingeschätzt und sie war doch keine richtige Freundin. Er beschloss, einfach nicht mehr an sie zu denken. Er hatte schließlich mit Saskia schon genug Probleme. Verärgert und enttäuscht verließ er die Wohnung.
Saskia schlug die Augen auf und setzte sich im Bett auf. Nur, um sich zwei Sekunden später wieder zurückfallen zu lassen. Mann, brummte ihr der Schädel. Sie war gestern mit den anderen Neulingen des Orchesters nach einem Kinobesuch noch in der Altstadt versackt. Es war ein herrlicher Abend gewesen. Sie hatten über Gott und die Welt geredet. Besonders Adrian hatte sich an diesem Abend als echter Kumpel erwiesen. Saskia hatte lange mit ihm gesprochen und dabei hatten sie festgestellt, dass es Adrian ähnlich ging wie ihr. Auch er hatte zu Hause eine Freundin zurückgelassen und hoffte, dass das Engagement schneller vorbei wäre, obwohl er eigentlich über die Chance froh war, die ihm da gegeben wurde. Aber für ihn galt eben auch der Grundsatz „My home is where my heart is“ und das war halt zu Hause. Das machte ihn für Saskia umso wertvoller. Sie hatte ihm ihr Herz ausgeschüttet, im volltrunkenen Kopf, und schämte sich heute schon dafür. So kannte sie sich gar nicht. Sie beschloss deshalb, ihm eine SMS zu schreiben. Hi du! Wollt mich wg. gestern entschuldigen und bedanken. Danke fürs Ohr. Hast mir sehr geholfen. Bis zur Probe. LG Saskia Hoffentlich dachte er jetzt nichts Falsches von ihr. Sie schüttelte den Kopf, um den Gedanken an gestern abzuschütteln. Auch als Saskia zum Laptop griff, um ihre Emails abzurufen, wurde sie wieder enttäuscht. Keine Neuigkeiten von Patrick. Sie hatte so gehofft, dass er sich melden würde. Aber anscheinend hatte er sie vergessen. Ihr war zum Weinen zumute, aber sie beschloss, sich nicht unterkriegen zu lassen. Vielleicht lag das ja nur an ihrem Kater. Sie ging ins Bad, um zu duschen und sich zur Probe fertig zu machen. Üben musste sie auch noch. Alles war wichtiger als Patrick und doch konnte sie an nichts anderes denken. So kannte sie sich wirklich nicht. Sie war schon einige Male verliebt gewesen, aber das war irgendwie etwas anderes. Wertvolleres. Hoffentlich ging es Patrick nicht anders. Saskia hatte Angst. Aber sie konnte leider nicht in Patricks Kopf sehen, schon gar nicht aus der Ferne. Moment. Ihr kam ein Gedanke. Am Freitag war Feiertag und danach hatte sie ein freies Wochenende. Sie schaute schnell im Internet nach Flügen und fand tatsächlich einen günstigen. Sie würde ihn einfach besuchen gehen. Sie lächelte. Ja, das war die Idee.
Patrick verbrachte einen seiner schwärzesten Tage. Alles ging schief. Zuerst hatte er seine Unterlagen zu Hause vergessen, und musste noch einmal umdrehen auf halbem Weg, dann hatte er die Durchsage im Bus nicht verstanden, der plötzlich eine andere Route fuhr. Darüber war er natürlich in Panik geraten und hatte der Frau, die neben ihm saß, eine Notiz schreiben wollen, musste aber zu seinem Unglück feststellen, dass er seinen Block zu Hause vergessen hatte. Also drehte er sich halb zu der Frau und versuchte, sie zu fragen, was denn los sei oder ob er im falschen Bus gelandet sei. Leider schaute ihn die Frau nur entsetzt und bedauernd an, zuckte mit den Schultern und rief in Richtung des Busfahrers: „Herr Fahrer, hier ist ein Betrunkener im Bus.“ Der Bus fuhr in der nächsten Haltestelle ran und der Fahrer persönlich warf Patrick aus dem Bus, weil er auch nicht verstehen konnte, was Patrick da vor sich hin brummte. Patrick verzweifelte fast. Da stand er nun an einer Bushaltestelle, die er nicht kannte und schaute sich um, welche Busse hier wohl fuhren. Völlig vertieft stand er so an der Haltestelle, als ihm plötzlich jemand auf die Schulter tippte und sich in sein Gesichtsfeld schob. Mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht stand Hannah vor ihm und sagte: „Na, du Schlafmütze? Alles wieder im Lot? Was machst du denn hier in der Gegend, das ist ja nun mal gar nicht deine Richtung.“ Patrick schob sie mit einem Brummen zur Seite. Auf Hannah hatte er nach der Aktion vom Vorabend gar keine Lust. „Hey, was ist denn in dich gefahren? So geht man unter Freunden aber nicht miteinander um.“ Freunde? Hatte er da wirklich richtig Lippen gelesen oder spielte ihm seine Aufregung grad einen Streich. Er zog eine Augenbraue hoch, drehte sich von Hannah weg und ging über die Straße, um sich den Fahrplan auf der anderen Seite durchzulesen, weil er wohl oder übel wieder in die andere Richtung fahren musste. Aber so leicht ließ sich Hannah nicht abschütteln. Sie folgte ihm über die Straße und baute sich direkt vor ihm auf, sodass er praktisch keine Fluchtmöglichkeit mehr hatte. „Sag mal, spinnst du? Was ist denn mit dir los? Da denkt man, dass dir der Abend gestern gut getan hat, deckt dich noch mütterlich zu und schreibt dir ne Nachricht, damit du nicht erschrickst, wenn du plötzlich allein in der Wohnung bist und dann trifft man dich und du drehst vollkommen durch. So viel zum Thema Freundschaft. Weißt du was?! Wenn du dich mal wieder beruhigt hast, kannst du dich ja nochmal melden, aber heute hat das wohl keinen Sinn mehr mit uns beiden.“ Mit diesen Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und ging wutschnaubend davon. Zurück blieb ein völlig verdutzter Patrick. Was war das denn gewesen? Was hatte er denn jetzt wieder falsch gemacht? Das konnte ja wohl nicht wahr sein, dass ausgerechnet Hannah auf ihn sauer war. Sie war ja schließlich einfach so gegangen. In diesem Moment bog sein Bus um die Ecke. Es wurde eh Zeit, dass er endlich zur Uni fuhr. Das erste Seminar des Tages hatte er sowieso schon durch die Aktion mit dem falschen Bus verpasst. Es konnte ja nur besser werden. In der Uni angekommen musste er feststellen, dass er zu allem Übel auch noch durch eine wichtige Klausur gerasselt war und keine Ahnung hatte, wann und wie er diesen Fehltritt rückgängig machen konnte. Jetzt musste er auch noch zur Studienberatung. Wann sollte er das denn auch noch machen? Er beschloss, die letzte Vorlesung, die er nur interessehalber belegt hatte, sausen zu lassen und einfach nach Hause zu gehen. Der Tag war für ihn gelaufen. Patrick hatte kaum den Schlüssel in der Tür gedreht und die Tür einen Spaltbreit geöffnet, als er das Blinken seines Anrufbeantworters sah. Noch mehr schlechte Nachrichten? Er drückte auf den Knopf. Der Drucker lief an und druckte eine Nachricht seiner Mutter aus, die ihm vorwarf, dass er sich schon seit einer Woche nicht mehr zu Hause gemeldet hatte. Der Drucker hörte gar nicht mehr auf und druckte munter weiter. Erst nach einer halben Seite kam die nächste Nachricht. Saskia. Damit hatte Patrick nicht gerechnet. Er setzte sich neben den Drucker und las mit, was da stand: Hallo, mein Schatz. Ich bin’s. Ich habe so lange nichts von dir gehört und deshalb einfach einen Flug gebucht. Ich kann einfach nicht mehr länger warten, bis wir uns wieder sehen. Ich nutze also das lange Wochenende und bin am Freitagvormittag bei dir. Wenn das Flugzeug pünktlich ist, versteht sich. Hab schon alles gepackt und freu mich schon riesig. Jetzt muss ich nur noch schnell zur Probe und dann geht’s schon fast los. Ach, das wird toll. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich war schwer im Stress, aber das erzähle ich dir alles, wenn ich cendlich wieder bei dir bin. Bis morgen, mein Schatz. Ich denk’ ganz viel an dich. Ich hoffe, du freust dich auch. Bis dann. Was Patrick leider nicht hören konnte, war das Küsschen, das ihm Saskia noch durch die Leitung geschickt hatte, aber das konnte der Drucker bedauerlicherweise nicht ausdrücken. So weit war die Technik dann doch noch nicht. Nachdenklich blieb Patrick neben dem Drucker sitzen. Er wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte, dass Saskia die Kosten und Strapazen der Reise auf sich nehmen wollte, oder ob er das als Zeichen eines schlechten Gewissens deuten sollte. Er zuckte mit den Schultern und schaute sich in seiner Wohnung um. Wenn sie wirklich kommen sollte, dann sollte er wohl hier noch etwas aufräumen. So ging Patrick von Zimmer zu Zimmer, bis alles glänzte und strahlte. Als er im Wohnzimmer das Sofa ein Stück zur Seite rückte, fand er darunter einen kleinen Zettel mit Hannahs Handschrift. Er erschrak. Das musste der Zettel sein, von dem Hannah gefaselt hatte, falls er sie nicht komplett falsch verstanden hatte an der Bushaltestelle. Er ließ sich aufs Sofa fallen und versuchte, ihre etwas eigenwillige Handschrift zu entziffern. Lieber Patrick, ich wollte dich nicht wecken, als du an meiner Schulter (das war durchgestrichen und ersetzt durch neben mir) eingeschlafen bist. Aber du hattest dich endlich beruhigt und da wollte ich dich nicht mehr aufregen. Und bleiben, ohne dass ich dazu aufgefordert werde, tu ich auch nicht. Ich hoffe, du hast gut geschlafen. Kannst dich ja mal melden, wenn du wieder bei dir bist. Auch wenn es dir nicht so vorkommen mag, ich fand den Abend schön. Das können wir (vielleicht beim nächsten Mal nicht ganz so depressiv) gerne wieder machen. Naja, das war’s schon. Meine Handynummer hast du ja. Meld dich, wannimmer du Lust hast, was zu unternehmen oder die starke Schulter einer Freundin brauchst! Ganz liebe Grüße und ein dickes Bussi Hannah Er hatte ihr Unrecht getan! Patrick saß auf dem Sofa und rieb sich die Stirn. Sein schlechtes Gewissen verursachte ihm Bauchgrimmen. Wo hatte er nur sein Handy? Er musste Schadensbegrenzung betreiben, solange es noch möglich war. Er tippte wie wild: Hi du. Sorry wg. heut Morgen. Hab eben erst beim Aufräumen deine SMS gefunden. War einfach schlecht drauf. Verzeih mir. LG Patrick Hoffentlich reagierte sie bald. Er legte das Handy an seinen angestammten Platz und kümmerte sich weiter um den Hausputz, um überschüssige Energien loszuwerden. Nach zwei Stunden intensiven Wohnungschrubbens glänzte alles wie neu. Jetzt konnte Saskia kommen.